24. November 2022 - 05. March 2023
In Ihrer Einzelausstellung hier, anderswo im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden bearbeitet die Klangkünstlerin Hyunju Oh in ihren multimedialen Werken die komplexe Beziehung von Existenz, Emotion und Zeit.
Inmitten des Ausstellungsraums steht ein alter Holzschrank. Die Tür ist leicht geöffnet, verwehrt aber den detailreichen Blick in den Innenraum. Lediglich die Stimme eines jungen Mädchens, das den Innenraum des Schranks als Schutzzone auserwählt hat, erlaubt Rückschlüsse auf die unsichtbare Protagonistin. Surround-Sound macht die Emotionen, die Erinnerungen und die Existenz des Mädchens erfahrbar – Emotionen und Erinnerungen, die ebenso kollektiv wie individuell sein können. Die ausstellungstitelgebende Arbeit hier, anderswo (2022) von Hyunju Oh wird erstmals zu sehen sein.
Zur Vernissage am 24. November 2022 performt die Künstlerin erstmalig die Arbeit Causeless (2022). Mit der Performance beleuchtet Hyunju Oh die Beziehung von Handlung und Material, von Mensch und Objekt. Materialien sind für Oh nicht nur Mittel zum Zweck. Stattdessen setzt sie verschiedene Materialeigenschaften gezielt ein, um eine Metapher zu schaffen. Besonders eindrücklich stellt sie so die Frage nach der Bewertbarkeit von Schmerz in ihrer Arbeit Pain, unspecified (2019), die die Künstlerin ebenfalls zur Eröffnung performt.
Auffallend prägnant ist die Komponente der Zeit in der Fotoserie Remains from Remains of Remains (2015). Die Fotografien einer weißen Wand zeigen die Performerin, wie sie Schicht um Schicht, Bildebene für Bildebene, bei jeder erneuten fotografischen Manifestation von Licht und Zeit, die Wand um ein weiteres Stück reduziert. Woran erinnern wir uns? Die Wand wird zum Symbol für die Erinnerung, die stets fragmentierter und brüchiger wird. Die Serie bewegt sich damit erneut in einem Spannungsfeld zwischen Handlung und Material, innerhalb der Trichotomie von Zeit, Existenz und Emotion. Während die Serie das Vergessen im Laufe der Zeit darstellt, nutzt die Künstlerin hierfür das Medium der Fotografie, die es vermag, Zeit und Erinnerung festzuhalten und damit vor ihrer Fragmentierung zu schützen.
Besonders sichtbar werden Emotionen oft in zwischenmenschlichen Beziehungen. In der Videoinstallation Von_ir (2011/2016) - bewusst kann hier die Leerstelle mit „m“ oder „d“ gefüllt werden – zeigt die Künstlerin in Slow-Motion die Interaktion zwischen zwei Personen. Während zunächst eine Person sichtbar ist, die sich auf die Brust schlägt und mit dem dadurch entstehenden Klang an ein lautes Herzschlagen erinnert, tritt bald eine zweite Person hinzu und umarmt die erste. Diese scheint die Umarmung zu erwidern, schlägt nun jedoch anstatt auf die eigene Brust auf den Rücken der zweiten Person. Eine üblicherweise positiv konnotierte Geste wie die Umarmung ist hier mit der negativ konnotierten Geste des Schlagens kontrastiert – immer jedoch begleitet vom lebensnotwendigen Herzschlag, der beide Emotionen erlaubt. Durch den Einsatz von Slow-Motion wird das Zeitempfinden der Betrachter:innen manipuliert und die Handlungen der Darsteller:innen zwar genaustens beobachtbar gemacht, ohne aber die Ursache des Ereignisses eindeutig zu klären.
Elke Gruhn